Ja, ich bin in der DDR aufgewachsen. Ich wurde in die Polytechnische Oberschule "Maxim Gorki" eingeschult, die es baugleich 100-fach im Land gab, habe VEB-Weinachtsfeiern im volkseigenen Betrieb meines Vaters erlebt, habe die am Elternhaus vorbeimarschierenden, bewaffenten Kampftruppen der Barkaswerke Hainichen zum 1. Mai bewundert, habe noch Dampflokomotiven im regulären Fahrbetrieb erlebt (meine Mutter hängte die Wäsche entsprechend der Fahrpläne der Deutschen Reichsbahn auf). Der Fluß in unserer Stadt war durch Industrieabwässer mal rot, mal grün, mal blau. Fische hatte ich nie darin gesehen. Ein gutes Dutzend Betriebsschornsteine bliesen ihre Rauchwolken in die Luft. Bei ungünstiger Wetterlage lag dichter Nebel über der Stadt. SMOG nannte man das und erduldete es, wie ein Naturphänomen, wie einen regnerischen Tag.

Irgendwie haben sich mir die scheinbar unerschöpflichen Bestände an Rot- und Weißkohlköpfen in den Regalen der Gemüseabteilung der nahen Kaufhalle (HO Konsum) bildhaft eingeprägt. Und manchmal würde ich einiges darum geben, mit der Zeitmaschine zurückzukehren, um die alten Zeiten noch einmal zu sehen, zu riechen, zu schmecken und mich ausdrücklich darüber zu wundern, was sich dann in 30 Jahren alles verändert hat. Wer auch mal staunen möchte, kann ja mal in den 8mm-DDR-Alltagsfilmen der "Open memory box" oder im "ddrbildarchiv" stöbern.

Ich weiß, was es bedeutet hat, ein Westpaket mit größtmöglicher Ehrerbietung (selbstverständlich mit viel zu langen Dankgebet vor dem Auspacken) in Familienvollversammlung auf dem Stubentisch auszupacken; "den Westen" zu riechen, Schokoladentafeln wochenlang aufzuheben, weil sie ein zu großer Schatz waren; in Kakaopulver geschmuggelte christliche Liederbücher zu entdecken.

Ich weiß, was es bedeutet hat, sich vor "SED-Bonzen" im Wohnhaus in acht zu nehmen; als Kind fuhr ich manchmal mit dem Fahrrad verstohlen am Stasi-Gebäude vorbei; ich war der eine in der Klasse, der kein Pionier war und habe mir darauf immer einiges eingebildet. Ich habe die Frechheit der mutigen Sprecher der Montagsdemonstrationen 1989 genossen, die auch die Organe der Staatssicherheit in der Kirche herzlich willkommen hießen. An einem Montag hieß es, es seien Demonstranten festgenommen und in einem abgelegenen Betriebsgelände von der Stasi verhört worden. Neben aller Euphorie schwang in diesen Tagen auch immer ein merklicher Bodensatz Angst mit. Der DDR-Sozialismus hatte oft genug seinen totalitären Charakter bewiesen. Die Staatsorgane haderten in diesen Tagen mit den aus dem Ruder laufenden Verhältnissen. Die Lage war angespannt.

Dieses Land "DDR" gibt es nicht mehr; wir sind jetzt selbst "der Westen". Viele mussten sich neu erfinden, andere landeten in einer ABM (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme), oder wurden, wie mein Vater, in der "Aktion 55" in den Ruhestand abgeschoben. Zum Schluss wurde der Schornstein des VEB-Betriebes gesprengt. Mit einem großen Knall endete ein Arbeitsleben; als sich der Rauch gelegt hatte, wurde man nicht mehr gebraucht.

Während sich die meisten Neubundes-Bürger mit "abgeranzten Westwagen" von mehr oder weniger dubiosen Autohändlern erste Lebensträume erfüllten (mein Schwager freute sich fast kindlich über seinen 3er BMW mit 101 PS), entledigten sich SED-Funktionäre der Spuren ihres privilegierten Lebens, ließen "Westwagen" verschwinden und zwängten sich, aller Enge zum Trotz, hinter ein Trabbilenkrad.

Ja, nach 30 Jahren muss man wohl sagen, das sind Geschichten von früher. Wie ausradiert sind die meisten Spuren längst vergangener Tage. Und trotzdem sind es Tage meiner Kindheit in einem Land, dass es Gott sei Dank nicht mehr gibt. Friedliche Revolution nannte man das ganze, als man sich verwundert die Augen rieb, dass es tatsächlich wieder ein Deutschland geben sollte. Dafür hat es mutige Menschen gebraucht, die auf die Straßen und in die Kirchen gegangen sind und auch die Anderen, die aufgegeben haben.

Es bleibt ein Wunder "diese friedliche Revolution" und dankbar schau ich zurück.

Mathias

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