Es ist der letzte Werktag vor den Feiertagen. Der ganze Tag war schon irgendwie aufgeladen. Am Vorabend gepackte Autos warten auf die vorzeitige Abreise, um sich mit den anderen Cleveren im schlauen Stau aneinander zu reihen – die Unüberlegten stehen später.

Die Arbeit wurde heute halbherzig erledigt; in Gedanken ist man schon fort. Auf der Straße durch die Stadt wird alles rausgeholt, was geht; die Hupe wurde schließlich nicht umsonst serienmäßig verbaut.

Glücklicherweise hat die Frau daran gedacht eine Spotify-Playlist mit den neuesten Hits für die Fahrt zusammenzustellen; dann ist die Stille nicht so bleiern, nachdem der Vater mit einer unflätigen, absolut unangemessenen Verbalattacke seine Kinder vom Streiten ins Schweigen brachte.

Die Zurückgebliebenen freuen sich über ungewohnte Parklücken vor den Haustüren.

Noch mal schnell zu Netto: Basilikum, Tomaten und Schmand vergessen. Es ist der Teufel los! Zwischen den Regalen huschen Verkäuferinnen eilig beim Auffüllen der ausgeplünderten Regale; auch sie wollen heute noch los.

An der Kasse trifft einen der Schlag. Die Schlange geht bis sonstwohin. Ein gutes Drittel der Kundschaft platzt gleich. Und dann kommt er, mit einem Bierkasten in der Hand, Frau und Kind im Schlepptau, karriertes Hemd, tatkräftiger Gesichtsausdruck – drängelt sich vorbei an allen Wartenden, stellt sich vor die letzte ungeöffnete Kasse und ruft mit der Haltung eines aufstrebenden Unteroffiziers: "Dritte Kasse bitte!"

Selten habe ich ein "Bitte" so dermaßen in sein Gegenteil verkehrt gehört. Es passte so gar nicht zur sächsisch, selbstgefällig vorgetragenen Forderung, die mit stoischer Penetranz wiederholt wurde, wie man es nur kann, wenn man niemand Bestimmtes meint. Schon bald stimmte auch die Piepsestimme seines Achtjährigen mit ein: "Dritte Kasse bitte"; immerhin wird der von seiner Mutter zurückgepfiffen.

Wie mit der Spannfeder aufgezogen wollen soviele aus ihren gewöhnlichen Alltag heraus, in die Tage entfliehen, die sie sich verdient haben. Das Szenario erinnert mich an ein Lied, welches ich aus Kindheitstagen kenne: "Ich bin durch die Welt gegangen" (Eleonore Fürstin von Reuß *1835 - 1903). Hier heißt es in der dritten Strophe sinngemäß: "Sie suchen, was sie nicht finden und kehren mühseelig und beladen zurück."
Das Lied ist hier nicht zu Ende.

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