"Warum ist der Zug so lang?" "Na, weil er viele Autos mitnehmen muss."
Die Fragen des kleinen Mädchens an ihren geduldigen Papa wirken sehr erfrischend auf mich. Andere Mitreisende reagieren da schon wesentlich genervter auf die Verspätung. Vor 5 Minuten ist der Zug nach Chemnitz los gefahren, ohne uns. Der nächste kommt erst in 40 min. Der Glauchauer Bahnhof bietet nicht viel Zerstreuung, da bleibt nur warten. Leute beobachten. Einer packt die Gitarre aus und spielt ein wenig zu unserer Unterhaltung. Cool. Andere lesen, rauchen, essen ihr Proviant oder gucken in ihr smartes Telefon. Was die wohl heute noch vorhaben? Was haben sie schon für eine Reise hinter sich? Wir alle erleben die gleichen 40 min auf begrenztem Raum. Und doch ist jeder für sich, hat seine eigene Reise hinter-und vor sich. Ich kann eigentlich ganz entspannt sein. Ich fahre gleich nach Hause. Am Bahnhof wartet mein Fahrrad und ich muss keinen Anschlusszug weiter erwischen. Termine hab ich auch keine mehr und satt bin ich noch reichlich vom Mittagessen. Und wenn ich zuhause bin, gönne ich mir ein warmes Bad. Da kann ich eigentlich ganz entspannt sein, und offen. Für das hier und jetzt. Für Menschen. Momente. Begegnungen.

Hm. Heute Abend hab ich wohl kein Gespräch mehr mit einem fremden Menschen auf dem Bahnhof. Auch okay. Aber in anderen Situationen will ich mich daran erinnern, dass wir alle auf der Reise sind, die Leben heißt. Mit unterschiedlichen Zielen vielleicht und weggefaehrten für einen bestimmten Abschnitt.
Und auf dieser Reise will ich das hier und jetzt nicht verpassen, nur weil ich in meinen Gedanken mit meiner warmen Badewanne zuhause beschäftigt bin und es nicht mitbekomme, dass einer meiner Weggefaehrten vielleicht ein aufmunterndes oder verstandnisvolles Lächeln gebrauchen kann. Oder ein Stück Schokolade. Weil zu allem Überfluss der Verspätung auch noch der Automat am Bahnhof leer ist.

_Anett ( baut Lego am liebsten nach Anleitung & isst gern Kekse)

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